REVUE, 2020, Gabrielle Seil:
Der Spätzünder
Mit 60 Jahren wird los Kohl nicht nur zum Extremwanderer, sondern entdeckt zudem das Kunstmachen. Mittlerweile hat sich sein privater Garten in eine Freilichtgalerie verwandelt.
Auf einer Wanderreise auf Teneriffa haben Jos Kohl und ich uns kennengelernt. Und so wunderschön die Touren im und rund um den Nationalpark El Teide gewesen sind, so unvergesslich ist auch ein Satz, mit dem der heute 69-jährige mich während eines Mittagessens konfrontiert hat: „Net jiddereen interesséiert sech fir Kultur.“ Mittlerweile sind acht Jahre vergangen, und während ich bei meinem Versuch, einen Marathon zu bewältigen, fast gestorben wäre, hat Jos Kohl für sich das Extremwandern entdeckt, legt im jahr durchschnittlich mehr als. 3.400 Kilometer zu Fuß zurück und wünscht sich, noch als 80jähriger am Mullerthal-Trail teilzunehmen. Mit Erfolg, versteht sich. Noch dazu ist er künstlerisch aktiv geworden.
"Wann ech mir en Ziel gesat hunn, ginn ech sou laang keng Rou, bis ech erreecht hunn, wat ech erreeche wollt“, so der Ruheständler ohne Ruhebedarf.
Ähnlich stur arbeitet er als Bildhauer. Als ihm auf der Langstreckenwanderung Paris-Tubize (300 Kilometer an vier Tagen) die Steinskulptur eines Kopfes auffällt, sieht er in der Fertigung einer Stahlbüste seine nächste Herausforderung. Das erste Modell hat allerdings zu große Ohren. Das zweite passt sich diesen zu groß geratenen Ohren an. Das dritte bekommt Haare. Am vierten Modell wird noch gefeilt. Dass die Gesichter der jeweiligen Figuren seinem Gesicht etwas ähnlich sehen, ist nicht verwunderlich. Schließlich hat Jos Kohl an sich selbst Maß genommen. „Ech schaffen net mat Skizzen, mee aus dem Kapp eraus. Well ech d'Fräiheet behale well, iwwrem Schaffen emmer nees eppes ze änneren.“
Am liebsten arbeitet der Autodidakt mit Cortenstahl, einem wetterfesten Baustahl, der aufgrund seiner Legierung mit u.a. Kupfer eine besondere Patina entwickelt. Aber er ist ebenfalls ein begeisterter Schrottkäufer und hortet alles, was er finden kann. So ist aus den Abfällen, die beim Bau eines Pavillons an der Mosel angefallen sind, ein Baum entstanden. „A mengem Atelier waarden dräi Tonnen aalt Eisen drop, verschafft ze ginn“, beteuert Jos Kohl. Was nichts anderes heißt, als dass mit ihm als Teilnehmer von Kaffeefahrten oder Seniorennachmittagen mit Gleichaltrigen so bald noch nicht zu rechnen ist. „Ech kann net roueg setzen. Ech brauch all Dag Beweegung.“ Da in Luxemburg jedoch viele Wanderungen wegen der Covid-lQ-Pandemie abgesagt wurden und die Rahmenbedingungen im Ausland schwieriger geworden sind, ist Jos Kohl in diesem Jahr meist auf eigene Faust unterwegs gewesen und hat mehr Zeit fürs Kreativsein gehabt.
Nach Ausstellungen in Ettelbrück und Echternach ist eine Wirtschaftsberaterin, deren Neffe für internationale Galerien arbeitet, auf seine Skulpturen aufmerksam geworden. „Wat aus deem Kontakt entsteet, weess ech nach net“, doch es könnte durchaus sein, dass der Künstler, der sich selbst nicht als solcher bezeichnen will, irgendwann in Paris, Berlin oder Tokio ausstellt. Auf die Idee, überhaupt mit dem Kunstmachen anzufangen, hat ihn ein Freund gebracht. Weil dieser seine Kunstwerke nicht selbst nach Trier zur Kunstakademie bringen konnte, fuhr Jos Kohl sie mit seinem Anhänger dorthin. „Ech duecht, wat een do léiert, kann ech mir a mengem Atelier doheem selwer bäibrengen.“ Das klingt zwar ziemlich arrogant, aber so ist der gelernte Schlosser ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Ich habe ihn als einen sehr bodenständigen und hilfsbereiten Menschen kennengelernt, und das ist er heute noch. Dass er stolz darauf ist, in den letzten Jahren gute Kontakte geknüpft zu haben, ist sein gutes Recht. Jeder kreative Mensch möchte wahr und ernst genommen werden. Wer das Gegenteil behauptet, macht sich was vor.
Was Jos Kohl in meinen Augen derweil am meisten auszeichnet, sind sein trockener Humor und seine Selbstironie. Es gibt nicht viele Zeitgenossen, die sich selbst gern auf die Schippe nehmen. Zudem ist er ein begnadeter Anekdotenerzähler. In Belgien habe er einen über 90jährigen kennengelernt, der noch Langstreckenwanderungen bewältigt, und als er ihn gefragt hätte, was er nach einem anstrengenden Fußmarsch tun würde, antwortete der Mann, dass er meist noch bis zu sich nach Hause laufen und, falls ihm noch etwas Zeit übrig bliebe, seinen Sohn im Altersheim besuchen würde. „Sou well ech och al ginn.“
Züm Glück hat Jos Kohl nicht mit Gelenkproblemen zu kämpfen. Gegen Muskelkrämpfe gibt es Magnesiumtabletten, für Blasen an den Füßen spezielle Pflaster. Aber was hilft bei Sturheit? Jos Kohl lacht. „D’Liewen ka sou spannend sinn.“ Im Oktober hat er an der revue Wanderreise in den Dolomiten teilgenommen. Weil er sich nach Bergen gesehnt hat. Jetzt plant er ernsthaft, im kommenden Sommer zwei oder drei Wochen auf einer abgeschiedenen Alm zu verbringen und beim Kühehüten oder der Heuernte zu helfen. Er hätte auch ohne zu zögern ein Biathlon-Schnuppertraining im Langlaufzentrum in Antholz absolviert. Stattdessen fotografiert er unterwegs heimlich zwei schöne Vögel, zeigt das Bild dem Wanderführer, der daraufhin die Welt nicht mehr versteht, da die Art anscheinend längst ausgestorben ist. So ist Jos Kohl. Immer für eine Überraschung gut.
Sich selbst überrascht er übrigens am liebsten. Die Alpen hat er bereits überquert. Auf dem Dach Afrikas ist er auch schon gewesen. Den Bodensee zu umwandern, würde ihn momentan reizen. Doch leider wütet derzeit noch das Corona Virus. „Ech kréihe vill dobausse geschafft.“ Gemeint ist nicht Garten, sondern Schweißarbeit. Die Kopfskulpturen erblickt man beim Vorbeifahren. Die kleineren Werke säumen das Haus und die Auffahrt. Dort steht auch das kleine Metallschild „Exposition“. Wer sich traut, darf sich die Freilichtausstellung anschauen. Einen Termin mit Jos Kohl auszumachen, ist indes ratsamer. Vor allem weil es ihm eine Freude sein wird, dem Besucher seine Arbeiten zu zeigen.
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